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Zustellung der Kündigung während der Arbeitnehmer nicht zu Hause ist (sondern sich beispielsweise im Urlaub befindet)

 

von STEN RIEPER, Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

Urteil des BAG 2 AZR 493/17 vom 25.04.2018

 

Kann gegenüber einem Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis gekündigt werden, wenn dieser (vorübergehend) nicht zu Hause ist? Was muss ein Arbeitnehmer ggf. unternehmen, um seine ihm obliegenden Pflichten zu erfüllen? Kann ein Arbeitnehmer auch gegen eine Kündigung vorgehen, selbst wenn die Frist zur Einreichung der Kündigungsschutzklage abgelaufen ist?

 

Mit Urteil 2 AZR 493/17 vom 25.04.2018 hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt ob dies möglich ist und welche Pflichten der Arbeitnehmer ggf. hat.

 

Die Parteien des dortigen Rechtsstreits haben über die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage gestritten.

 

Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin als Arzt beschäftigt. Im Jahr 2013 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Parteien und stellte die Kündigung an die Wohnanschrift des Arbeitnehmers in Deutschland zu. Diese Kündigung war nicht Gegenstand des Rechtsstreits. In der Folgezeit nahm der Arbeitnehmer während dieses formell weiter bestehenden Arbeitsverhältnisses eine Beschäftigung als Arzt in Katar auf. Sein Wohnhaus in Deutschland vermietete er.

 

Im Jahr 2016 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30. Juni 2017 erneut. Das Schreiben wurde am 7. Juni 2016 durch einen Botendienst in den mit dem Namen des Arbeitnehmers versehenen Briefkasten an seinem Haus in Deutschland eingeworfen. Es war in einem nicht frankierten Briefumschlag enthalten, der äußerlich keinen Hinweis auf Art und Zeit der Zustellung erkennen ließ. Er glich Briefumschlägen, mit denen die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer regelmäßig Informationen allgemeiner Art übersandte.

 

Der Arbeitnehmer erlangte erst am 1. Juli 2016 Kenntnis von der Kündigung, als er für einige Tage nach Deutschland zurückkehrt war. Die 3-Wochen-Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage war zu diesem Zeitpunkt somit bereits abgelaufen.

 

Mit einem am 5. Juli 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hatte der Arbeitnehmer Klage erhoben und zudem vorsorglich beantragt, die Klage als Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen. Er hat die Auffassung vertreten, trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert gewesen zu sein, die Klage rechtzeitig zu erheben. Er sei trotz seiner Beschäftigung in Katar teilweise im Abstand von nur einigen Wochen in Deutschland gewesen. Den Mieter seines Wohnhauses habe er angewiesen, ihm etwa einmal im Monat seine Post nach Katar nachzusenden. Über Einschreiben und förmliche Zustellungen habe ihn der Mieter unverzüglich über WhatsApp informiert und die Schriftstücke sofort nach Katar gesandt. Dem Mieter eine umfassende Genehmigung zur Öffnung aller an ihn adressierten Briefe zu erteilen, sei ihm nicht zumutbar gewesen.

 

Die Klage war nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts verspätet. Die am 5. Juli 2016 eingegangene Klage hätte spätestens am 29. Juni 2016 anhängig gemacht werden müssen, um die Frist des § 4 Satz 1 KSchG zu wahren. Die Kündigung vom 31. Mai 2016 war dem Kläger spätestens am 8. Juni 2016 durch Einwurf des Kündigungsschreibens in den mit seinem Namen versehenen Briefkasten am 7. Juni 2016 i.S.d. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugegangen.

 

Der Einwurf in den vom Arbeitnehmer an seinem Wohnhaus mit seinem Namen versehenen und zum Postempfang vorgehaltenen Briefkasten hatte den Zugang des Kündigungsschreibens bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen war.

 

Wenn für den Arbeitnehmer unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. Den Arbeitnehmer trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche - allein in seiner Person liegenden - Gründe nicht ausgeschlossen.

 

Durch den Einwurf des Kündigungsschreibens am 7. Juni 2016 ist spätestens am nächsten Tag sein Zugang bewirkt worden. Daran, dass dies der Zeitpunkt der unter gewöhnlichen Verhältnissen spätestens zu erwartenden Entnahme war, änderte es nichts, dass der Arbeitnehmer sich aufgrund der Aufnahme einer Beschäftigung in Katar nicht mehr regelmäßig dort aufhielt. Unerheblich war nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts auch, ob die Arbeitgeberin dies wusste.

 

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts war der Arbeitnehmer nicht i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert, die Klage rechtzeitig zu erheben. Der Arbeitnehmer hat nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die ihm nach Lage der Umstände zuzumutende Sorgfalt nicht beachtet.

 

So hat der Arbeitnehmer keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, um eine zeitnahe Kenntnisnahme von in seinen Briefkasten eingeworfenen Schriftstücken sicherzustellen.

 

Der Arbeitnehmer war – so führt das Bundesarbeitsgericht aus - nicht nur vorübergehend - wie im Falle einer urlaubsbedingten Abwesenheit von bis zu sechs Wochen - von einer ansonsten ständig von ihm benutzten Wohnung abwesend, wobei das Gericht insoweit auf die Fallgestaltung aus der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Oktober 2012 - 2 BvR 2776/10 - Rn. 17 zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl und vom 11. Februar 1976 - 2 BvR 849/75 - zu B 2 der Gründe, BVerfGE 41, 332 zur Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Bußgeldbescheid verweist.

 

Der Arbeitnehmer hielt sich vielmehr umgekehrt, aufgrund einer in Katar aufgenommenen Beschäftigung, nur noch gelegentlich in Deutschland auf und war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits seit mehr als vier Monaten nicht mehr in Deutschland. Da er dennoch weiterhin einen Briefkasten mit seinem Namen dort vorhielt, hätte er - anders als bei bloß vorübergehender urlaubsbedingter Abwesenheit, bei der ein solcher Aufwand nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts unter Hinweis auf die oben genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zumutbar sein soll - dafür Sorge tragen müssen, dass er zeitnah von für ihn bestimmten Sendungen Kenntnis erlangt. Ist nämlich - wie z.B. im streitgegenständlichen Fall aus beruflichen Gründen - die Abwesenheit von der „ständigen“ Wohnung die Regel, muss der Adressat entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besondere Vorkehrungen treffen, um rechtzeitig Kenntnis von Zustellungen zu erlangen.

 

Der Arbeitnehmer hätte in Anbetracht seiner nur noch gelegentlichen Anwesenheit, eine Person seines Vertrauens damit beauftragen müssen, die für ihn bestimmte Post regelmäßig zu öffnen und ihn oder einen zur Wahrnehmung seiner Rechte beauftragten Dritten zeitnah über ihren Inhalt zu informieren oder sie an einen zu ihrer Öffnung und Wahrung seiner Rechte bevollmächtigten Dritten weiterleiten zu lassen.

 

Fazit:

 

Die Kündigung des Arbeitnehmers ist also vom Grundsatz her auch während seiner Abwesenheit möglich. Die Ausführungen des Bundesarbeitsgericht lassen des Weiteren nur den Schluss zu, dass auch dann, wenn die Drei-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage rein terminlich abgelaufen ist, eine nachträglich Zulassung der Klage in Frage kommt. Und zwar für diejenigen Arbeitnehmer, die nur vorübergehend (z.B. urlaubsbedingt) und wohl nicht länger als 6 Wochen abwesend waren und unverzüglich (sprich: so schnell wie möglich) Kündigungsschutzklage erheben und zusätzlich einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Klage stellen.

 

 

 

Sten Rieper

 

Fachanwalt für Arbeitsrecht