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Kündigung wegen vorzeitigem Verlassen des Arbeitsplatzes

 

von STEN RIEPER, Fachanwalt für Arbeitsrecht

 

 

Kündigung wegen vorzeitigem Verlassen des Arbeitsplatzes

(ggf. auch bezeichnet als eine eigenmächtige Verkürzung der Arbeitszeit oder als eine vorzeitige Beendigung der Arbeit)

 

Eine Rechtsprechungsübersicht mit Fazit:

 

Urteil LAG Köln 25.03.2011 (vorgehend ArbG Aachen 12.10.2010)

 

Der am 09.07.1954 geborene Kläger, verheiratet und schwerbehindert (GdB 60), ist seit dem 10.04.1984 bei der Beklagten beschäftigt. Zunächst war er als Mülllader und seit 1999 als Bote / Pförtner tätig. Auf sein Arbeitsverhältnis findet der TVöD Anwendung, der Arbeitnehmer ist gemäß § 34 Abs. 2 TVöD nur noch aus wichtigem Grund kündbar. Mit Schreiben vom 12.11.2007 wurde der Kläger wegen mehrfachen vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes abgemahnt.

 

Nach der Zustimmung des Integrationsamtes und der Anhörung des Dienststellenpersonalrates, der seine Zustimmung verweigerte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 28.09.2009 das Arbeitsverhältnis fristlos. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass der Kläger erneut vorzeitig seinen Arbeitsplatz verlassen habe.

 

Das Arbeitsgericht Aachen hatte die außerordentliche Kündigung zunächst als wirksam angesehen, dass Landesarbeitsgericht Köln hat die außerordentliche Kündigung dann als unwirksam eingestuft und zudem ausgeführt, dass eine ordentliche Kündigung möglicherweise wirksam hätte sein können.

 

 

Urteil LAG Hessen 09.07.1999

 

Die Klägerin war seit 01.07.1988 bei der Beklagten als Sprachtherapeutin mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von zuletzt DM 4.500,00 tätig. Gemäß Arbeitsvertrag vom 10. März 1988 war sie ganztags beschäftigt mit zuletzt 38,5 Wochenstunden. Die tägliche Arbeitszeit lag inklusive Arbeitspausen montags bis donnerstags von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr und freitags von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr.

 

Die Klägerin ist Mutter von drei Kindern im Alter von drei bis fünf Jahren. Ihr Erziehungsurlaub endet zum 07.07.1997. Am 08.01.1997 machte die Klägerin der Beklagten den Vorschlag, nach Ablauf des Erziehungsurlaubs ihre Tätigkeit im Rahmen einer Halbtagsbeschäftigung nachgehen zu können. Dies lehnte die Beklagte ab. Weitere schriftliche Eingaben der Klägerin vom 29.04.1997 als auch ein Vermittlungsversuch der Gewerkschaft ÖTV hatten keinen Erfolg. Am 08.07.1998 nahm die Klägerin ihre Tätigkeit wieder auf, verließ aber ihren Arbeitsplatz ohne Genehmigung um 12.23 Uhr. Mit Schreiben vom 09.07.1997, das der Klägerin am selben Tag ausgehändigt wurde, mahnte die Beklagte die Klägerin deswegen ab. Am 09.07.1997 verließ die Klägerin ihren Arbeitsplatz um 12.25 Uhr und am 10.07.1997 ebenfalls um 12.25 Uhr. Die Klägerin erhielt daraufhin am 11.07.1997 eine weitere schriftliche Abmahnung, die den Hinweis enthielt, dass im Wiederholungsfall eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses folgen werde. Nachdem die Klägerin auch in den Folgetagen weiterhin vorzeitig ohne Genehmigung ihren Arbeitsplatz verließ, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 15.07.1997 das Arbeitsverhältnis fristlos.

 

Das Landesarbeitsgericht Hessen hat die außerordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Urteil LAG Rheinland-Pfalz 09.11.2006

 

Der am 12.11.1954 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 24.05.1972 bei der Beklagten als Kommissionierer und seit 1979 im Lager der Beklagten beschäftigt. Am 05.03.2004 verließ der Kläger seinen Arbeitsplatz vor dem offiziellen Ende seiner Arbeitszeit. Diesbezüglich fand am 08.03.2004 zwischen dem Kläger und dem Schichtleiter H. sowie dem Lagerleiter Hö. ein Gespräch statt. Dem Kläger wurde hierbei ausdrücklich aufgegeben, sofern er seinen Arbeitsplatz vorzeitig verlassen möchte, eine Genehmigung bei seinem Arbeitgeber einzuholen.

 

Am 20.04.2004 verließ der Kläger seinen Arbeitsplatz 28 Minuten vor dem offiziellen Arbeitsschluss. Mit Schreiben vom 21.04.2004 mahnte die Beklagte den Kläger deswegen ab. Am 19., 20., 21. und 22.07.2004 entfernte sich der Kläger erneut vor dem offiziellen Ende seiner Arbeitszeit von seinem Arbeitsplatz. Deswegen wurde ihm am 26.07.2004 im Beisein von Herrn B. und Frau S. eine weitere Abmahnung übergeben. Am 24.10.2005 verließ der Kläger seinen Arbeitsplatz bereits um 15.34 Uhr und damit 58 Minuten vor Ende seiner regulären Arbeitszeit. Um eine Genehmigung hat er dabei nicht nachgesucht.

 

Mit Schreiben vom 04.11.2005, dem Kläger am selben Tag persönlich übergeben, kündigte die Beklagte dem Kläger sodann außerordentlich, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin.

 

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die außerordentliche Kündigung als unwirksam und die ordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Urteil LAG Rheinland-Pfalz 24.10.2007

 

Der 56jährige verheiratete Kläger der seit sechs Jahren im Betrieb tätig ist, hat am 31.01.2007 oder 01.02.2007 am Vormittag seinen Arbeitsplatz verlassen, ohne den Beklagten zu informieren und um Erlaubnis zu bitten, seinen privaten Tätigkeiten nachgehen zu dürfen. Dabei hat der Kläger weder beim Verlassen der Werkstatt noch bei seiner Rückkehr das Zeiterfassungssystem bedient. Der Kläger behauptet er habe die halbstündige Mittagspause von 12.00 Uhr bis 12:30 Uhr durcharbeiten wollen und bei Bedienung des Zeiterfassungssystems wäre eine unzutreffend lange Pause von dem System gespeichert worden.

 

Des Weiteren hat der Kläger am Nachmittag des 01.02.2007 ohne eine vorherige Erlaubnis des Beklagten einzuholen, Rohrmaterial aus dem Lager des Beklagten entnommen und dieses für private Zwecke von seinen Arbeitskollegen weiterverarbeiten lassen. Der Kläger behauptet, er habe von einer Genehmigung durch den Beklagten ausgehen können, weil dies in der Vergangenheit bereits so gehandhabt worden sei und das die Arbeitnehmer X. und W. die Rohre ohne sein Wissen und Wollen zugeschnitten, gebohrt und zu einem Rahmen verschweißt, hätten.

 

Der Kläger hat die Zeiterfassung am Morgen des 02.02.2007 nicht selbst bedient, sondern seinen Arbeitskollegen V. - wie bereits in der Vergangenheit - veranlasst, für ihn die Zeiterfassung bei Arbeitsantritt zu betätigen.

 

Die Beklagte hat daraufhin die außerordentliche Kündigung erklärt. Eine Abmahnung sei im vorliegenden Fall entbehrlich gewesen, da es sich um besonders schwerwiegende Pflichtverletzungen handele, bei denen es offensichtlich ausgeschlossen gewesen sei, dass sie der Beklagte hinnehmen werde.

 

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die außerordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Urteil LAG Rheinland-Pfalz 23.04.2005

 

Der am 05.12.1943 geborene Kläger war bei der Beklagten seit dem 23.03.1984 als Reiniger beschäftigt. Im Zeitraum vom 26.06.1986 bis 21.07.2003 erteilte ihm die Beklagte eine Vielzahl schriftlicher Abmahnungen, u. a. wegen Nichteinhaltung der Arbeitszeit und wegen Erledigung privater Angelegenheiten während der Arbeitszeit (Abmahnungen vom 14.04.1999, vom 15.06.2001 und 21.07.2003).

 

Am 23.01.2004 verließ der Kläger vor dem offiziellen Ende der Arbeitszeit (16:00 Uhr) nach seiner Darstellung um 15:50 Uhr, nach Behauptung der Beklagten um 15:40 Uhr, seinen Arbeitsplatz und begab sich zu seinem circa 50 Meter vor dem Firmengelände abgestellten Pkw, um - so die Behauptung des Klägers - eine mit Wasser gefüllte Flasche im Fahrzeug abzulegen in der Absicht, nach Ende der Arbeitszeit den Kühler des Pkw aufzufüllen.

 

Mit Schreiben vom 30.01.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2004.

 

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die ordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Urteil LAG Rheinland-Pfalnz 18.07.2008

 

Der Kläger (geb. 1976, ledig) ist seit dem 27.04.2004 bei der Beklagten als Lager- und Produktionshelfer zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt € 1.512,06 beschäftigt. Der Kläger, dessen Weg zur Arbeit maximal zwei Kilometer beträgt, arbeitet im Schichtbetrieb. Er hat Beginn und Ende seiner Arbeitszeit über Zeiterfassungsgeräte zu registrieren. Am Donnerstag, dem 21.02.2008 war er in der Spätschicht tätig, die um 23.00 Uhr endet. Der Kläger verließ das Betriebsgelände gemeinsam mit dem Arbeitskollegen M. B. und zwei anderen Arbeitnehmern vorzeitig, ohne das Zeiterfassungsgerät zu bedienen. Nach dem Vortrag des Klägers ist er gegen 21.30 Uhr, nach dem Vortrag der Beklagten gegen 21.00 Uhr gegangen. Der Kläger hatte seinen Zeiterfassungschip dem Arbeitskollegen J. B. übergeben, der für ihn ausstempeln sollte. J. B. buchte den Kläger erst gegen 23.00 Uhr aus.     

 

Am Freitag, dem 22.02.2008 führte der Verlademeister mit dem Kläger nachmittags ein Gespräch. Ob der Kläger ausdrücklich erklärt hat, er habe „die ganze Schicht gemacht“ und sei „um 23.00 Uhr gegangen“, ist zwischen den Parteien streitig. Es ist ebenfalls streitig, ob der Kläger in einem weiteren Gespräch am Montag, dem 25.02.2008 zunächst erklärt hat, dass er die Schicht um 23.00 Uhr beendet habe. Im Gütetermin vom 25.04.2008 erklärte er vor dem Arbeitsgericht hierzu zu Protokoll: „Das kann sein“.      

 

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.02.2008, das dem Kläger am gleichen Tag zugegangen ist, fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.03.2008 gekündigt.

 

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat die außerordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Urteil OLG Düsseldorf 11.09.2008

 

Der Kläger hat in den Nächten vom 17. zum 18. Februar 2006 und vom 30. zum 31. März 2006 die von ihm zu leistende Nachtschicht vorzeitig ohne Kenntnis des Betriebsleiters beendet, das Betriebsgelände verlassen sowie es dabei unterlassen, die Stempeluhr zu betätigen.

 

Der Kläger wurde von seinem Arbeitgeber wegen des zweimaligen vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes nicht abgemahnt.

 

Der Kläger hat eine Abmahnung vom 05. September 2005 erhalten, die sich auf die unterlassene Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach erfolgter Krankmeldung bezieht. Die Arbeitgeberin hat behauptet es habe eine Anweisung des Zeugen S. von Januar 2006 gegeben. Im Betrieb des Arbeitgebers hängen allgemein Hinweise aus, die für den Fall des Zuwiderhandelns die Kündigung des Arbeitsverhältnisses androhen. Dort wird auf die Verpflichtung hingewiesen, stets, also auch bei vorzeitigem Verlassen des Betriebes, zu stempeln.

 

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat die ordentliche Kündigung als unwirksam eingestuft.

 

 

Urteil LAG Baden-Württemberg 16.03.2004

 

Der 35-jährige, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit Juni 1991 bei der ca. 1000 Arbeitnehmer beschäftigenden Beklagten als Einsteller zu einem Monatsverdienst von zuletzt ca. 3.000,-- € tätig. Ihm ist ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt. Auslöser der Kündigung vom 27.03.2002 war, dass der Kläger am 21.09.2001 gegen 20.00 Uhr den Arbeitsplatz verlassen und einen Arbeitskollegen dazu veranlasst hat, seine Anwesenheit erst für 23.00 Uhr mit der Zeiterfassungskarte abzustempeln. Nach zustimmendem Bescheid des Widerspruchsausschusses des Integrationsamts vom 26.03.2002 kündigte die Beklagte am 27.03.2002 nach gleichzeitiger Zustellung des Bescheids fristlos.

 

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat die außerordentliche Kündigung als wirksam eingestuft.

 

 

Fazit:

 

Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes ist grundsätzlich denkbar. Allerdings dürfte in den allermeisten Fällen eine solche Kündigung nur nach einer vorherigen Abmahnung wegen eines deckungsgleichen Verstoßes Aussicht auf Erfolg haben. In den Fällen, in denen eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung in der Vergangenheit erfolgreich war, waren für die Kündigung oft weitere Gründe (wie etwa Arbeitszeitbetrug) von Bedeutung und zumeist sogar der entscheidende Faktor.

 

 

 

Sten Rieper

Fachanwalt für Arbeitsrecht